Ein Kunsterlebnis

Ich kenne Arbeiten von Nicole Morello seit Langem. Ich habe eine schon lange währende, immer neu aufglimmende Liebe zur kühlen, asketischen Strenge und Kraft dieser Werke, die zugleich eine so unerhörte Leichtigkeit, ein Schweben, eine spinnwebhafte Zartheit bergen. Und, was besonders schön ist: Rätsel, die bewegen, aber keine Lösung verlangen.

Ich habe diese Arbeiten ihren Reiz schon in allerhand Räumen entfalten gesehen.

In der Nacht vom 13. Auf den 14. September 2014, weit draußen vor den Toren Berlins, im Gut Zernikow war es so.

Im gottverlassenen Ambiente der alten Brennerei hingen diese großen, gedoppelten Bahnen herab, bezeichnet mit Spuren, mit feinen Umrissmustern, wie eine unbewusste Schrift, herabgeschneit auf transparentes Papier. Sie sind ganz handwerklich gemacht, anfassbar, nachprüfbar, erstaunlich stabil, wenn man mit den Fingern daran rührt: hic fecit Nicole Morello. Und dennoch wirken sie wie eine Erscheinung, wie ein Geschenk von woanders her.

Da schwebten sie also, still und erleuchtet, wie Wäsche auf der Leine, wie Schnee, der lautlos vom Himmel fällt; und draußen rauschte in der Schwärze der Nacht der Regen herab, um all dieser Stille einen Resonanzraum zu schenken.

Gegenüber der Ausstellung (die Distanz in der Dunkelheit merkwürdig unbestimmt) der schwarze Umriss einer alten Scheune. Man sah nichts; nichts als ganz feine Streifen aus warmem Licht, das durch die Brettertore schimmerte; umso eigenartiger das Geräusch, das daraus drang. Ein vielstimmiges Gemurmel umgab den dunklen Kubus, ein volles, gesättigtes Dröhnen, gemischt aus Wortfetzen, Kinderstimmen, lautem Gelächter, Geklapper von Besteck, Klirren von Gläsern, gemengt zu einer Symphonie, die von Leben zu bersten schien.

Wie Raumschiffe, die sich in beiläufiger Nachbarschaft inmitten der alles durchdringenden Stille und Leere der Landschaft von irgendwoher niedergelassen haben, lagen sich die beiden gegenüber: der Kunstraum der Ausstellung und die Scheune, wo ein gewaltiges Festessen die Ausstellung begleitete. Und der akustische fallout des Getafels liierte sich plötzlich und auf seltsam erhellende Weise mit diesen Spuren und Niederschriften auf transparentem Papier. Eingeschmolzen in einen flüchtigen, unvergesslichen Augenblick schien das alles eine Essenz des Lebens zu geben. Alles fand darin einen Platz: die Arbeit, der Genuss, die Empathie, das Gedanken machen, die Sinnenfreude, die Erkenntnis, der Zufalll, eine nie zu stillende Sehnsucht - alles floss zusammen in einem Moment der Transzendenz, der das Leben lohnt.

Danke!

Angelika Thiekötter, 14.September 2014